Die Turmuhr

Das Pendel, das Herz der Langenbrucker Turmuhr.

Das Herz jeder alten, ehrwürdigen Turmuhr und anderen alten Uhren ist das Pendel.

Die Idee, ein Pendel zur Zeitmessung zu verwenden, geht zurück bis 1583. Da beobachtete Galileo Galilei im Dom von Pisa einen Kronleuchter, der im gleichmässigen Takt seines Pulses hin und her schwankte. 1639 gelang es, das Pendel als Taktgeber in Uhren einzusetzen. Im Herzen unserer Turmuhr bewegt sich  auch heute noch ein Pendel. Es hat eine Länge von rund einem Meter (theoretisch 994 mm) und schwingt in zwei Sekunden je einmal hin und her. Weil es bei jedem Durchgang eine Sekunde auslöst, nennt man es ein Sekundenpendel. Es verrichtet seine Aufgabe mit hoher Präzision und Zuverlässigkeit.

Ein Tag zu 24 Stunden hat 86’400 Sekunden. Um nicht allzu oft den Turm besteigen zu müssen, strebe ich an, die Uhr möglichst nicht über eine bis zwei Sekunden pro Tag vor- oder nachgehen zu lassen. So kann die Abweichung zwischen +15 und Null Sekunden eingehalten werden. Diese Toleranz habe ich mir selbst auferlegt. Ehrensache jedes Uhrmachers ist, dass eine Uhr wohl etwas vor- aber möglichst nicht nachgehen darf.

Bei einem Fehler von einem Promille würde die Uhr pro Tag 1 ½  Minuten abweichen. Meine Anforderung an die Uhr  ist jedoch eine oder höchstens zwei Sekunden pro Tag, was einem Fehler der Frequenz von einem Tausendstel Prozent entspricht.

Das wäre dank der von der Firma Baer in Sumiswald 1947 ausgezeichnet gebauten Uhr ohne weiteres möglich, wären da nicht die grossen Temperaturschwankungen im Uhrenkasten. Die Temperatur kann, im Sommer von 25°C bis  minus 2°C Anfang März variieren. 

Diese Temperaturschwankungen bewirken ein „Eigenleben“ des Pendels, dem dahinter zu kommen gar nicht einfach ist.

Unser Sekundenpendel ist sehr präzise. In seinen 86’400 Hin-und Her-Schwingungen in 24 Stunden verliert oder gewinnt es bei konstanten Wetterbedingungen höchstens eine oder zwei Schwingungen.

Das imposante Gebilde besteht aus einer gut einen Meter langen Stange. Unten dran hängt ein Gewicht von 16 kg. Die Stange ist aus einer besonderen Stahllegierung, Invar genannt. Oben ist das Pendel an einem Stahlband aufgehängt.

Das Pendel ist durch verschiedene Massnahmen temperaturkompensiert. Dennoch muss es nachreguliert werden, wenn sich die Temperatur im Uhrenkasten wetterbedingt ändert.

Das Pendelgewicht von 16 kg liegt unten auf einer Regulierschraube auf.

Um den Gang um eine Sekunde pro Tag zu verändern, muss man die 16 kg mit Fingerspitzengefühl um rund einen Hundertstel Millimeter anheben oder absenken.

Nun zum Geheimnis unseres Pendels: Paradoxerweise geht die Turmuhr bei tiefen Temperaturen nach – bei höheren vor. Eigentlich müsste es umgekehrt sein, weil sich zum Beispiel bei Kälte alles zusammenzieht, ein Pendel kürzer wird und die Uhr schneller laufen sollte. Interessentinnen und Interessenten gebe ich das Geheimnis dieses überraschenden Eigenlebens gern preis.

Die Temperaturabhängigkeit bedingt, dass ich die Uhr pro Jahr etwa 30 mal besuchen darf- am Anfang meiner „Lehrzeit“ war das entsprechend öfter der Fall….

Mein Lohn dafür ist doppelt: Konditionstraining und die Gewissheit, dass man die Idee vorerst auf die Seite gelegt hat, das schöne mechanische Uhrwerk stillzulegen und es durch ein elektronisches, funkgesteuertes zu ersetzen.

Seit man Quarz- und Funkuhren besitzt, sind die Ansprüche unserer schnelllebigen Zeit an eine öffentliche Uhr mit denen früherer Zeiten nicht zu vergleichen. Meine Achtung gilt den Leuten, die sich früher mit einfacheren Mitteln dem Gang der Turmuhr angenommen haben.

Ich erinnere mich an manche heisse Diskussion zwischen uns Bezirksschülern und den beiden Langenbrucker Postautochauffeuren Metzger und Gerber, wenn die Abfahrtszeiten nach Waldenburg nicht mit der „Chilchenuhr“ übereinstimmten. Eine Armbanduhr gab es damals grundsätzlich erst zur Konfirmation!

Ich betrachte die Pflege der „Langenbrucker Zeit“ als interessante technische Herausforderung. Auch nach fünf Jahren verspüre ich beim Arbeiten am Werk noch regelmässig Herzklopfen aus Respekt, und weil es mit seinem Eigenleben immer wieder Überraschungen bietet. Wer den Gang der Uhr von zu Hause aus prüfen will, nimmt den ersten Schlag einer vollen Stunde und vergleicht ihn mit einer Funkuhr, so wie ich es tue. Laut dem Servicemonteur des Herstellers („Baer“, Sumiswald) ist unsere Uhr die exakteste von den durch ihn betreuten mechanischen Uhren.

Marcel Müller