Karfreitag und Ostern – Gedanken zur Woche

(10.4.20) Nein, heute nichts über Corona, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Es ist ein bisschen eine deutsche Geschichte, die ich erzählen will. Aber Sie werden mir das nachsehen. Das Kriegsende jährt sich zum 75. Mal. Vor 25 Jahren war es ein halbes Jahrhundert her. Ich habe damals noch für das Radio gearbeitet und meine Idee war, vier Frauen erzählen zu lassen, was sie Ostern 1945 erlebt hatten. Die Frauen sollten sozusagen wie in der biblischen Geschichte die Osterzeugen sein.
In dem kleinen Dorf in Pommern, in dem wir damals wohnten, gab es eine Organistin. Früher war sie auch Katechetin gewesen, hatte sich um den Kinderunterricht gekümmert. Eine nette, sehr beliebte alte Dame, ursprünglich stammte sie aus Ostpreußen. Ein bisschen altmodisch vielleicht. Das Haar immer zu einem festen Knoten gebunden. Alleinstehend. Wahrscheinlich niemals verheiratet.
Ich fragte sie, ob sie sich an Ostern 1945 erinnern könne. Sie sagte: „Ja, ganz genau. Das kann ich ihnen erzählen“. Wir verabredeten uns bei ihr zu Hause. Sie hatte Kuchen gebacken. Wir erzählten ein bisschen, ich legte mein Mikrofon auf den Tisch. Plötzlich fing sie an zu weinen. Ich war durcheinander. Im Vorgespräch hatte sich kein Problem angedeutet. Ich sagte, ich könne alles wieder einpacken. Aber dann sagte sie: „Nein ich will es erzählen“.
Kurz vor Ostern, unmittelbar bevor die Russen kamen, war es ihr gelungen, mit dem letzten Schiff über Danzig nach Kopenhagen zu gelangen. Dort kam sie Gründonnerstag an. Einen Tag später, am Karfreitag, starb ihr einjähriges Kind, weil es sich auf der Überfahrt stark erkältet hatte. Am Ostermontag erfuhr sie, dass ihr Mann, der seit über vier Jahren im Krieg war, gefallen war. Sie hatte ihn 1940 geheiratet. Die längste Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, war ein knappes halbes Jahr. „Das war mein Ostern 45“, sagte sie.
Eigentlich war das kein Ostern, dachte ich. Das war nur Karfreitag. Ein nicht enden wollender Karfreitag. So kam es mir vor. Sie hatte nie wieder geheiratet. Nie wieder Kinder bekommen.
Normalerweise lassen uns solche Geschichten an Gott und am Leben verzweifeln. Aber es bleibt nicht bei Karfreitag.
Ostern ist, dass diese Frau nach dem Krieg eine Ausbildung zur Katechetin und Organistin macht. Ihr Berufsleben lang Kindern Geschichten von der Güte Gottes erzählt und Sonntag auf der Orgel „Großer Gott wir loben dich“ spielt. Karfreitag war damit nicht vergessen, aber zumindest von einem österlichen Licht umstrahlt.
Pfarrer Torsten Amling